Forschung

Satellitenprojekt TECS

TwinLife Epigenetic Change Satellite
TECS LogoDie Corona-Pandemie hat seit Anfang 2020 große Veränderungen im alltäglichen Leben der Menschen mit sich gebracht. In verschiedenen Lebensbereichen sind neue Belastungen, aber auch Verschärfungen bereits bestehender Belastungen entstanden – sei es auf der Arbeit, in der Ausbildung, der Schule oder bei der Kinderbetreuung. Wie sich diese Erfahrungen auf das Leben der Menschen auswirken wird im Rahmen des Satellitenprojekts TECS (‘TwinLife Epigenetic Change Satellite’) untersucht. Darin gehen wir zusammen mit Wissenschaftler*innen des Instituts für Humangenetik des Universitätsklinikums Bonn und des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München der Frage nach, ob sich die Erfahrungen von Belastungen auch auf die Gen-Aktivität auswirken.

Die Belastungen durch die Corona-Pandemie und deren Folgen können nicht von allen Menschen in gleicher Weise bewältigt werden. Wie besonders betroffene Gruppen (z. B. Personen in ärztlicher Behandlung, Berufseinsteiger*innen, Selbstständige, Familien mit schulpflichtigen Kindern) die Herausforderungen der Krise bewältigen, hängt neben ihrer wirtschaftlichen und sozialen Situation auch von ihren persönlichen Lebensumständen ab. Es ist zu erwarten, dass darüber hinaus auch erblich bedingte Faktoren eine wichtige Rolle spielen, wie z. B. die Widerstandskraft gegenüber Stress, das Temperament oder die Persönlichkeit.

Mit unserer Forschung untersuchen wir, welche Gruppen psychisch besonders stark durch die Pandemie belastet waren – oder welche gut geschützt waren, und was dazu beigetragen hat. Daraus lässt sich ableiten, wie bestimmte Pandemie-Belastungen auf die verschiedenen betroffenen Gruppen gewirkt haben, wie die Pandemie und die mit ihr verbundenen Einschränkungen die Psyche beeinflusst haben, welche Gruppen in Zukunft besonders geschützt werden müssen und an welchen Lebensbereichen solche Schutzmaßnahmen ansetzen könnten.

Auf der DFG-Forschungskonferenz "Pandemics" haben wir im November 2021 unser Forschungsvorhaben mit einem Poster vorgestellt. Den Beitrag können Sie sich ➔ hier ansehen (in englischer Sprache).

Die Teilnehmenden der TwinLife-Studie wurden im Rahmen der dritten Haushaltsbefragung (2017/18) um die Abgabe von Speichelproben gebeten. Diese sogenannten molekulargenetischen Informationen wurden zu dem Zweck gewonnen, unseren Forscher*innen-Teams dabei zu helfen, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie die individuelle genetische Ausstattung die spätere Entwicklung beeinflusst. Dies wird im Rahmen des Satellitenprojekts TwinSNPs untersucht.

Da nach dieser ersten Probenentnahme die Corona-Pandemie eintrat, ergab sich so eine günstige Gelegenheit für die Forschung: Durch diese Speichelprobeninformation vor der Corona-Pandemie haben wir nun die einzigartige Möglichkeit, in unserer Zwillingsfamilienstudie zusätzlich die Folgen des Pandemiegeschehens zu untersuchen, indem wir noch weitere Speichelproben über den Pandemieverlauf hinweg entnehmen lassen. Dadurch ist das TECS-Projekt entstanden.

 

Information zum Datenschutz

Viele unserer Teilnehmer*innen folgten unserer Bitte zur Speichelprobenabgabe und wir bedanken uns für die rege Teilnahme und das Vertrauen! Natürlich handelt es sich dabei um äußerst sensible Informationen, die den höchsten Datenschutzstandards unterliegen. Dementsprechend garantiert das gesamte TwinLife-Team den sicheren und vertraulichen Umgang mit den Proben. Nicht zuletzt prüfen eine Ethikkommission, sowie unser Mittelgeber die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Datenschutzbeauftragten der Universitäten den sicheren Umgang mit den Proben.
Sie werden gesammelt und aufbereitet bei unseren Partner*innen am Universitätsklinikum Bonn, wo sie ausschließlich für Forschungszwecke und in doppelt anonymisierter Form verwendet werden. Die Zuordnung zwischen Speichelproben und den Informationen aus der TwinLife-Studie erfolgt dabei über zwei separate Schlüssel, die nur in aggregierter Form miteinander in Verbindung gebracht werden. Das heißt, das Universitätsklinikum verlassen nur zusammengefasste Daten ohne Bezug auf eine einzelne Person. Dadurch wird absolute Anonymität unserer Teilnehmenden gewährleistet.
Die Untersuchungen finden auf der Bevölkerungsebene statt. Dabei werden die Daten über Gruppen zusammengefasst, die verschiedene Eigenschaften oder Erfahrungen gemeinsam haben. Es sind in keiner Form Rückschlüsse auf einzelne Personen möglich. Das führt uns näher an unser Forschungsziel: Die Erklärung von sozialen Unterschieden im Zusammenhang mit pandemiebedingten Erfahrungen.

 

Um zu untersuchen, inwiefern die Belastungserfahrungen durch die Corona-Pandemie auf die Aktivität einzelner genetischer Teilbereiche eingewirkt haben, wurden die Teilnehmer*innen der TwinLife-Studie im Sommer 2021 daher um eine erneute Speichelprobe gebeten. Denn nur ein Vergleich von zwei Speichelproben zu verschiedenen Zeitpunkten erlaubt es uns zu untersuchen, ob bestimmte Teile des Genoms ihre Aktivität verändert haben. Aus diesen Informationen können anschließend beispielsweise genetische Belastungsindikatoren oder die genetische Veranlagung zu bestimmten Persönlichkeitseigenschaften ermittelt werden. Ebenso erlauben uns die Proben, die Veränderung in Prozessen der Genaktivierung durch den Einfluss der Corona-Pandemie zu untersuchen.

Die Entnahme der zweiten Speichelprobe fand erst vor kurzem statt. Die genetischen Daten aus diesen Proben werden auch diesmal wieder von Wissenschaftler*innen am Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums Bonn gewonnen.

Weitere Informationen erhalten Sie auf unserer ➔ Informationsseite zu den Speichelproben.


Obwohl sich das genetische Material (die DNA-Sequenz) im Laufe unseres Lebens selbst nicht verändert, besteht die Möglichkeit, dass besondere Lebensumstände und veränderte Lebensbedingungen einen Einfluss darauf haben, wie unsere Gene funktionieren. Wie die Beleuchtung eines Raumes, die durch einen Lichtschalter gesteuert wird, können unsere Erfahrungen dazu führen, dass dabei bestimmte Gen-Aktivitäten ein- und wieder ausgeschaltet werden. Teile des Erbgutes sind also nicht immer aktiv und können, vermittelt über bestimmte Einflüsse in der Umwelt, in ihrer Aktivität verändert werden. Solche zeitweiligen Veränderungen unserer Erbgutaktivität durch Umwelteinflüsse werden im Forschungsfeld der Epigenetik untersucht. Manche Lebensereignisse oder Erfahrungen können diese epigenetischen Veränderungsprozesse in Gang setzen. Die Erfahrungen mit der Corona-Pandemie sind ein mögliches Beispiel für solche Lebensereignisse.

Zwei (von vielen) Arten der epigenetischen Genregulation

Epigenetische Acetylierung Acetylierung
Das Ergbut (DNA) ist in Eiweißkomplexen, sogenannten Histonen, verpackt. Wann immer ein Stück DNA gelesen werden soll, muss dieser also zuerst „ausgepackt“ werden. Acetylgruppen sind chemische Verbindungen, deren Vorhandensein auf Umweltverbindungen zurückgeht. Wenn sich negativ geladene Acetylgruppen an die positiv geladenen Histone binden, dann heben diese die positive Ladung der Histone auf und machen die verpackte DNA leichter zugänglich. Dadurch werden Gene ‚angeschaltet‘.


Epigenetische MethylierungMethylierung
Die DNA kann chemisch verändert werden. Dabei bindet eine bestimmte Art von Eiweiß, ein Enzym, eine Methylgruppe an einen Teil der DNA, nämlich an ein DNA-Basenpaar. Die Methylgruppe besteht aus einem Kohlenstoff- und drei Wasserstoffatomen und ist damit eine der einfachsten organischen Atomanordnungen. Wenn die Methylgruppe an ein Basenpaar gebunden wird, dann sagt man dieser Abschnitt sei ‚methyliert‘. Die Basenabfolge bleibt dabei unverändert bestehen, jedoch sind diese methylierten Abschnitte schlechter abzulesen. Sie werden daher manchmal beim Kopieren der DNA „übersehen“ und nicht mitkopiert. Das Gen ist sozusagen ausgeschaltet. Die Methylierung kann auch rückgängig gemacht werden. Dieser Prozess nennt sich Demethylierung.

Die Belastungen durch die Corona-Pandemie erzeugten besondere Lebensumstände sowie veränderte Lebensbedingungen. Deren Folgen können nicht von allen Menschen in gleicher Weise bewältigt werden. Inwiefern besonders betroffene Gruppen (z. B. Personen in ärztlicher Behandlung, Berufseinsteiger*innen, Selbstständige, Familien mit schulpflichtigen Kindern) mit den Herausforderungen der Krise zurechtkommen, hängt neben ihrer wirtschaftlichen und sozialen Situation auch von ihren persönlichen Lebensumständen ab. Unserer Vermutung zufolge spielen darüber hinaus auch erblich bedingte Faktoren eine wichtige Rolle, wie z .B. die Widerstandskraft gegen Stress, das Temperament oder die Persönlichkeit.

Maske mit Desinfektionsmittel Kind mit MNS-Maske DNA
Im von uns untersuchten Pandemiekontext ist dabei das Kerninteresse unserer Forschung, zu erfahren, wie sich Stresserleben auf das menschliche Epigenom auswirkt. Das Epigenom meint dabei die gesamte Fülle an epigenetischen Acetylierungs-, Methylierungs- und Demetyhlierungsoptionen über das Genom hinweg. So könnten beispielsweise vergangene Stresserfahrungen vor neuem Stress schützen (sog. Stress-Inokulation als Abhärtungseffekt), oder spätere negative Folgen begünstigen (sog. Scarring-Effekt). Diese Auswirkungen können sich auch im Epigenom bemerkbar machen, und so zukünftige Entwicklungen und Erfahrungen langfristig beeinflussen.

Dazu werden im TECS-Projekt verschiedene genetische und epigenetische Informationen gebündelt. Daraus errechenbare methylierungsbasierte Risikowerte (sogenannte „Methylation-Based Risk Scores“) können Aufschluss darüber geben, inwieweit durch bestimmte epigenetische Gegebenheiten Risiken für bestimmte Gruppen bestehen. Im Rahmen des Satellitenprojekts untersuchen wir, wie solche epigenetisch bedingten Risiken für bestimmte Gruppen das Pandemie-Erleben beeinflusst haben und ob es zum Beispiel Schutzmechanismen gab, die vor den Folgen negativer Veranlagung geschützt haben. Ebenso spannend ist die Untersuchung möglicher epigenetischer Veränderung, also einer Anpassung dieser Methylierungen im Lauf der Pandemie. Im Rahmen der epigenetischen Untersuchung werden zudem individuelle biologische Alterungsprozesse analysiert, die von unterschiedlichem Stresserleben beeinflusst sein können.

Forscher*innen der TwinLife-Studie werden im TECS-Projekt unterstützt von Forscher*innen des Universitätsklinikums Bonn, die mit der Probenauswertung und humangenetischen Analysen befasst sind, und Forscher*innen des Münchener Max-Planck-Instituts für Psychiatrie. Letztere sind unsere Spezialist*innen für epigenetische Analysen und werten die in Bonn gewonnenen Daten aus. In unserem ➔ Newsletter vom Frühjahr 2022 haben sich die Teams persönlich vorgestellt.


Schon jetzt treffen sich TwinLife-Forscher*innen in regelmäßigen Abständen mit den Kooperationspartner*innen aus Bonn und München. Einmal monatlich gibt es einen festen Termin, an dem wir uns austauschen und unsere Forschungsvorhaben koordinieren. Dabei haben sich Fokusgruppen entwickelt, die die in TECS untersuchten Phänomene aus verschiedenen Blickrichtungen genauer unter die Lupe nehmen.


Das TECS-Team:


Logo ukb

 
Logo MPI München

Logo Universität Bielefeld

 
Logo Universität Bremen

TwinLife-Logo
 
Logo Universität des Saarlandes

Projektleitung:
Prof. Dr. Christian Kandler (Universität Bremen)
Prof. Dr. med. Markus Nöthen (Universitätsklinikum Bonn)
Jun.-Prof. Dr. Andreas Forstner (Universitätsklinikum Bonn)
Prof. Dr. Elisabeth Binder, M.D. (Max-Planck-Institut für Psychiatrie München)
Prof. Dr. Martin Diewald (Universität Bielefeld)
Prof. Dr. Frank M. Spinath (Universität des Saarlandes)
 
Molekular- und epigenetische Analysen:
Universitätsklinikum Bonn: Jun.-Prof. Dr. Andreas Forstner, Dr. Carlo Maj, Charlotte Pahnke, Rana Aldisi
Max-Planck-Institut für Psychiatrie München: Dr. Darina Czamara, Alicia Schowe
 
Integration in das Kernprojekt:
Universität Bielefeld: Martin Diewald, Bastian Mönkediek, Lena Weigel, Mirko Ruks, Yixuan Liu
Universität Bremen: Christian Kandler, Theresa Rohm, Marco Deppe, Jana Instinske
Universität des Saarlandes: Christoph Klatzka, Anastasia Andreas