Selbstwertgefühl und Lebenszufriedenheit durch emotionale Stabilität?
Häufig sind wir als Menschen daran interessiert, was uns zu einem glücklichen Leben verhilft. Um einer Antwort näher zu kommen, suchen Wissenschaftler*innen nach Faktoren oder Eigenschaften, die mit der Lebenszufriedenheit zusammenhängen. Sie gehen also zum Beispiel der Frage nach, welche Faktoren und Eigenschaften bei Menschen mit einer hohen Lebenszufriedenheit häufig gleichzeitig auftreten. Dies kann Hinweise darauf geben, wodurch eine hohe Lebenszufriedenheit hervorgerufen wird.
Eine dieser Eigenschaften, die mit der Lebenszufriedenheit zusammenhängt, ist das Selbstwertgefühl. Jedoch ist unklar, wodurch dieser Zusammenhang zustande kommt. Löst ein hohes Selbstwertgefühl tatsächlich eine hohe Lebenszufriedenheit aus? Oder ist es andersherum? Bedingen sich beide Eigenschaften gegenseitig? Des Weiteren könnte auch eine dritte Eigenschaft der Grund für diesen Zusammenhang sein.
Diese dritte Eigenschaft könnte emotionale Stabilität sein. Menschen mit hoher emotionaler Stabilität sind wenig ängstlich und stressempfindlich und neigen zu weniger Impulsivität. Niedrig ausgeprägte emotionale Stabilität wird von Forschenden auch als Neurotizismus bezeichnet. Studien zeigten, dass die emotionale Stabilität positiv mit dem Selbstwertgefühl und der Lebenszufriedenheit zusammenhängt. Ein positiver Zusammenhang beschreibt, dass eine hohe Ausprägung der emotionalen Stabilität mit einem tendenziell hohen Selbstwertgefühl und hoher Lebenszufriedenheit einhergeht.
Anke Hufer-Thamm und Rainer Riemann untersuchten mit 2.000 17- und 23-jährigen Zwillingspaaren und deren Geschwistern, inwieweit emotionale Stabilität den Zusammenhang zwischen dem Selbstwertgefühl und der Lebenszufriedenheit bedingt. Außerdem untersuchten sie den genetischen Einfluss auf die drei Eigenschaften und auf die Beziehung zwischen ihnen.
Sie fanden heraus, dass die Lebenszufriedenheit größtenteils durch Umweltfaktoren bestimmt wird. Es konnte kein spezifischer genetischer Einfluss nur auf die Lebenszufriedenheit gefunden werden, sondern nur genetische Einflüsse, die sich ebenso auf die anderen Eigenschaften auswirken. Dies spricht dafür, dass die Lebenszufriedenheit sowohl durch die Umwelt als auch durch den Einfluss einer anderen Eigenschaft bestimmt wird, welche wiederum durch ähnliche Gene bestimmt wird. Diese andere Eigenschaft könnte womöglich das Selbstwertgefühl sein.
Es konnte ein starker Zusammenhang zwischen der Lebenszufriedenheit und dem Selbstwertgefühl gefunden werden, welcher etwa in gleichem Maße durch einen genetischen Einfluss und Umweltfaktoren zustande kommt. Dieser genetische Einfluss auf die Beziehung kam aber lediglich zu 28% durch den genetischen Einfluss der emotionalen Stabilität zustande. Der Großteil des genetischen Einflusses des Zusammenhangs zwischen dem Selbstwertgefühl und der Lebenszufriedenheit scheint also nicht von der emotionalen Stabilität zu stammen.
Aufgrund dieser Ergebnisse lässt sich schlussfolgern, dass emotionale Stabilität nicht die dritte Eigenschaft ist, welche die Beziehung zwischen dem Selbstwertgefühl und der Lebenszufriedenheit bestimmt. Wodurch kommt dieser Zusammenhang also zustande?
Nach wie vor ist es möglich, dass eine andere Eigenschaft oder Faktor einen größeren oder ergänzenden Einfluss auf das Selbstwertgefühl und die Lebenszufriedenheit hat und somit diesen Zusammenhang bestimmt. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, dass ein hohes Selbstwertgefühl eine hohe Lebenszufriedenheit verursacht oder andersherum. Die Aufdeckung sogenannter kausaler Beziehungen (dass eine Sache/Eigenschaft eine andere auslöst) sind das Ziel psychologischer Forschung, denn sie bieten großes Potenzial für Interventionen. Wenn ein hohes Selbstwertgefühl – oder eine andere Eigenschaft – uns direkt glücklich machen würde, bräuchten wir nur diese Eigenschaft zu verbessern, um glücklich zu sein. Da wir mit dem bisherigen Forschungsstand allerdings keine Aussage über Kausalität treffen können, wird dieses Thema wohl noch weiter Gegenstand der psychologischen Forschung bleiben.
Zur Publikation:
Hufer-Thamm, A., & Riemann, R. (2021). On the link of self-esteem, life satisfaction, and Neuroticism. Journal of Personality, 89, 998– 1011. https://doi.org/10.1111/jopy.12632